Medienkompetenztag Hamburg 2015

Schulische Medienbildung in Hamburg: Noch immer kein Land des Lächelns Bericht

Wo steht die Medienkompetenzbildung in der Hansestadt Hamburg im Jahr 2015?
Wie und wohin soll sie sich entwickeln?


Darüber sprachen (und stritten) Schüler, Lehrer, Eltern, Vertreter der Schulbehörde und Wissenschaftler vor mehr als 300 Gästen beim diesjährigen „Medienkompetenztag Hamburg“, der von der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein zusammen mit dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) veranstaltet wurde.

Hamburgischer geht es kaum. Wo früher das mittelalterliche Zentrum Hamburgs lag, direkt neben der Trostbrücke am Nikolaifleet, steht das „Haus der Patriotischen Gesellschaft Hamburg“. Seit 250 Jahren setzt sich die Gesellschaft für Bürgerwohl und die Förderung von Bildung und Wissenschaft ein.

Und in diesem Haus mit großer Tradition wurde, auf edlem Parkett, unter drei großen Kronleuchtern, einen Tag lang ein Thema behandelt, das so wenig mit Vergangenheit zu tun hat, aber mit großem Nachdruck ins Morgen weist: Es ging nämlich um die Medienbildung an Schulen.

Und damit um „unsere Zukunft“, wie Melissa Kleist von der SchülerInnenkammer Hamburg gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion feststellte, mit der die Veranstaltung eröffnet wurde: „Uns erwartet eine Berufswelt, die umfassend von der digitalen Revolution geprägt sein wird. Die Schule sollte uns darauf ausreichend vorbereiten.“

Uns erwartet eine Berufswelt, die umfassend von der digitalen Revolution geprägt sein wird. Die Schule sollte uns darauf ausreichend vorbereiten.

Melissa Kleist, Schülerin

Im Reimarus-Saal saß wohl keiner, der nicht von der Notwendigkeit breitenwirksamer Medienbildung überzeugt gewesen wäre. Dass es aber da draußen an den Hamburger Schulen nicht selten ganz anders aussieht, umriss der Hamburger Medienpädagogik-Professor Rudolf Kammerl in seiner Präsentation der Ergebnisse einer Expertise zum „Stand der schulischen Medienbildung in Hamburg und Schleswig-Holstein“.

Wer da ein „Déjà-vu“ hatte, der musste sich keine Sorgen machen: Schon im Jahr 2010 hatte Professor Kammerl eine solche Expertise für Hamburg vorgelegt, mit doch sehr problematischen Ergebnissen: Medienbildung sei in der Breite nicht verankert und nur das Ergebnis guten Engagements einzelner Lehrer. Für die Präsentation seiner 2015er-Expertise hat Kammerl die untersuchten Teilaspekte mit Ampel-Smileys versehen – von „grün und grinsend“ bis „rot und traurig“.

Kurz gefasst: Medienkompetenz-Hamburg ist auch im Jahr 2015 noch kein reines „Land des Lächelns“. Denn einige der damaligen fundamentalen Kritikpunkte erhält Kammerl auch heute noch weitgehend aufrecht:

* Lediglich ein Drittel aller Lehramtsstudenten belegen in der ersten Phase ihres Studiums Seminare zur Medienbildung.

* Zwar haben alle Schulen ihre eigenen Medienentwicklungspläne – viele davon sind aber schlicht nicht mehr aktuell.

* Die Ausstattung mit Medien ist an Hamburger Schulen eigentlich sehr gut – aber die Lehrer nutzen diese Möglichkeiten nicht ausreichend.

* Es fehlt an Qualitätssicherung und Evaluation.

„Es gibt bereits so viele Beschlüsse zum Thema, die einfach nur umgesetzt werden müssten“, unterstrich Professor Kammerl. Für Hamburg forderte er „eine verbindliche Verankerung medienpädagogischer Anteile in allen Phasen der Lehrerbildung, flächendeckende Medienbildung an allen Schulen, eine Dokumentation der Entwicklung und auch die regelmäßige Evaluation.“

Ich wünsche mir: eine verbindliche Verankerung medienpädagogischer Anteile in allen Phasen der Lehrerbildung, flächendeckende Medienbildung an allen Schulen, eine Dokumentation der Entwicklung und auch die regelmäßige Evaluation.

Prof. Dr. Rudolf Kammerl

Dieser eher akademischen Sicht auf die Medienkompetenz-Vermittlung fügte die Veranstaltung mit der Podiumsdiskussion weitere Alltagsperspektiven hinzu. Es war besonders die Schülervertreterin Melissa Kleist, die Zustimmung erntete. In Richtung des Hamburger Bildungssenators Ties Rabe (SPD) ging ihr Aufruf, dass „alle Lehrer“ an Fortbildungen zum digitalen Lernen teilnehmen müssten: Sie hätten oft kaum Ahnung, „viele können die Smartboards nicht mal richtig bedienen. Ich schlage dann die Teilnahme an einem Smartboard-Kurs vor – und ernte manchmal Erstaunen darüber, dass es solche Kurse überhaupt gibt.“

Auch für Marc Keynejad von der Elternkammer Hamburg ist es eher „Glückssache“, wenn Schüler kompetente Medienbildung erfahren. Er forderte: „Bringt unseren Kinder bei, bewusster mit digitalen Medien umzugehen!“

Bringt unseren Kindern bei, bewusster mit digitalen Medien umzugehen!

Marc Keynejad, Elternsprecher

Die Hamburger Landesvorsitzende der Lehrer-Gewerkschaft GEW, Anja Bensinger-Stolze, erwiderte, sie sehe natürlich auch einen großen Bedarf an Fortbildung bei den Lehrerinnen und Lehrern. Sie verwies dabei aber auch auf weitere große Themenfelder, die Lehrer als Querschnittsaufgaben eigentlich auch noch beackern sollten. Allen voran das Thema Inklusion, das in den Bildungsplänen bundesweit sehr großgeschrieben wird.

Dass in der Schule die Zeit nur in begrenztem Maße vorhanden sei, bekräftigte auch Bildungssenator Ties Rabe: „Natürlich ist es gerechtfertigt, über ein verbindliches Fach Medien oder Informatik nachzudenken – aber was soll dann aus dem Lehrplan wegfallen?“

Arthur Gottwald, bei der „Behörde für Schule und Berufsbildung “ (BSB) für Medien und Verkehrserziehung zuständig, sah in Anregung und Kritik vor allem einen „Ansporn“: „Wir müssen als Behörde noch mehr werben, dass der Prozess in Gang kommt.“

Gottwald schwärmte dann vom jüngsten Lieblingsprojekt der BSB, der Initiative „Start in die nächste Generation“, bei der sechs weiterführende Schulen in Hamburg nach der Devise „Bring Your Own Device“ (BYOD) Medienunterricht fest in den Lehralltag integrieren wollen: Schüler sollen ihre eigenen digitalen Endgeräte, von Smartphone über Tablet bis zum Laptop, in der Schule nutzen können. Dafür stehen 900.000 Euro zur Verfügung. Der „Start“ wird von Professor Kammerl auch wissenschaftlich begleitet.

Der verwies noch einmal darauf, dass die „Papierlage“ eigentlich sehr gut sei – und die Politik nun schon länger vorliegende Beschlussfassungen umsetzen solle. Kammerl ließ sich in diesem Zusammenhang einen kleinen Seitenhieb auf Senator Rabe nicht nehmen: „Die SPD hat in ihrer Zeit in der Opposition viele sinnvolle Forderungen gestellt, die heute leider nicht umgesetzt werden.“

Wichtig sind Beispiele guter erprobter Praxis, nicht Leuchtturmprojekte.

Ingo Kriebisch, Referatsleiter am LI

Ingo Kriebisch, Leiter des Referats Medienpädagogik am LI, moderierte dann die Nachmittagsveranstaltungen an, die sich hinter der Bezeichnung „Praxisimpuls“ versteckten: „Es handelt sich um Beispiele gut erprobter Praxis, die wir gerne verbreiten möchten.“ So konnten sich die Gäste dann unter anderem über den Hamburger Medienpass, Internet-ABC-Schulen und das „Phänomen Selfie“ informieren.

Auf viel Interesse stieß zum Beispiel der Praxisimpuls zu den Medienscouts. Deren Ausbildungsleiterin Kirsten Böttcher-Speckels (Gymnasium Allermöhe) berichtete davon, wie die Scouts, die aus 8. und 9. Klassen rekrutiert werden, Fünftklässlern an ihren Schulen Tipps zum Thema „Privatsphäre in sozialen Netzwerken“ geben: „Die Scouts fragen die jüngeren Schüler, welche Sachverhalte sie im normalen Leben teilen würden: mit allen, mit Bekannten, mit Freunden oder nur mit ihren Eltern.“ Schnell fiele dann den Schülern die große Diskrepanz auf zwischen dem, was sie im Netz posten und dem, was sie im normalen Leben zu erzählen bereit wären.

Das Projekt „SportXperten“ ist ein Angebot der Stadtteil-Initiative „Motte e. V.“: Schülerinnen und Schüler bereiten Interviews mit Spitzensportlern vor, lernen Grundlagen der Kameraführung kennen, bekommen Einblicke in den Videoschnitt.

Die Medienarbeit stärkt das Selbstbewusstsein schwächerer Schüler.

Babette Dembski, stellvertretende Schulleiterin

Babette Dembski, stellvertretende Schulleiterin an der Stadtteilschule Lurup, erzählte von ihren positiven Erfahrungen: „Diese Medienarbeit stärkt das Selbstbewusstsein der Schüler, sie sind stolz auf die Ergebnisse.“ Es ist tatsächlich sehr cool und lustig, wenn HSV-Fußballer Dennis Diekmeier von den Schulreportern ganz direkt gefragt wird: „Wollen Sie noch mehr Kinder mit Ihrer Frau haben?“

Wie sinnvoll eine Veranstaltung wie der Medienkompetenztag ist, zeigte sich nicht nur in den großen Diskussionen um grundsätzliche Fragen, sondern auch im Kleinen. Als zum Beispiel eine Lehrerin bei den SportXperten während der Präsentation bemerkte, dass auch schon Schüler ihrer Schule am Programm teilgenommen haben: „Das wusste ich gar nicht!“ Oder auch, als sich beim Impuls „Oberstufenprofil mit Seminarkurs Kommunikation und Medien“ der Gyula Trebitsch Schule Tonndorf sich eine Mitarbeiterin der Bücherhallen meldete und von Rechercheschulungen für Schüler berichtete, die in digital archivierten alten Ausgaben deutscher Zeitungen forschen dürfen. Da freute sich die Lehrerin: „Toll, das nehmen wir sofort mit auf!“

Zum Abschluss der Veranstaltung gab es noch einen Impuls der ganz besonderen Art, nämlich ein Interview, das NDR-Moderatorin Susanne Stichler mit der Berliner Bloggerin und Netzaktivistin Tanja Haeusler führte. Die Gründerin der re:publica und Koautorin des Ratgebers „Netzgemüse: Aufzucht und Pflege der Generation Internet“ machte schon mit dem ersten Satz klar, auf welcher Seite sie steht: „Ich finde es nicht fair. Wir können den Jugendlichen nicht vorwerfen, in diese Zeit hineingeboren zu sein. Wir müssen ihnen mit Wohlwollen begegnen und auch zubilligen, totalen Quatsch zu machen.“

Was Medienbildung an Schulen betrifft, sagte sie ganz trocken: „Ich fürchte, eine Weiterbildung bringt es da auch nicht so richtig.“ Schüler seien in vielen Feldern des kompetenten Umgangs mit digitalen Medien so viel weiter als die Lehrer, dass man auch darüber nachdenken müsse, ob nicht Lehrer einmal von den Schülern lernen könnten: „Vielleicht brauchen wir ja eine ganz neue Form von Didaktik.“

Die Vorträge und Diskussionen sowie drei Praxisimpulse wurden darüber hinaus vom Offenen Kanal Schleswig-Holstein aufgezeichnet und sind hier abzurufen.