Interview

Erst einmal tief durchatmen!

Die „Landestelle Jugendschutz" steht für zeitgemäßen, aufgeklärten Kinder- und jugendschutz und stellt die Entwicklungschancen von Mädchen und Jungen in den Mittelpunkt.

Was tun, wenn das Kind Pornos schaut? Ein Gespräch mit Tanja Opitz, Referentin für Sexualpädagogik der Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen.

Pornokonsum im Kindes- und Jugendalter – was weiß man über den Konsum und dessen Auswirkungen?

Es gibt einige Studien über den Pornokonsum von Jugendlichen. Die Zahlen schwanken da durchaus. Aber man kann zusammenfassend feststellen: Ein Großteil hat solche Inhalte gesehen. Es gibt Jugendliche, die aktiv danach suchen, Jungs mehr als Mädchen. Vielfach machen Peers auf Pornoseiten aufmerksam. Oft kommt der Kontakt auch zufällig zustande, über eine Suchmaschine zum Beispiel. Ein Impuls, der oft genannt wird: Neugierde. Die Jugendlichen wollen „lernen, wie Sex wirklich geht“. Manche wollen mit „krassen“ Inhalten angeben. Manche schauen auch nur einmal, um sich dann davon abgrenzen zu können.

Und die Jüngeren?

Je jünger sie sind, umso mehr reagieren sie mit Verstörung, Angst, Verunsicherung und Ekel. Sie haben ja keine eigenen Erfahrungen, da kann so eine Pornoseite sie nachhaltig verstören. Die Inhalte sind laut, vielleicht sogar gewalthaltig. Sie sehen Bilder, mit denen sie schwer umgehen können.

Jugendliche leiden also nicht darunter?

Doch, das tun sie natürlich auch, nur meist anders. Wenn sie Pornos schauen, erzeugt das Druck, auch so zu agieren. Die Stereotypen erfüllen zu müssen, in die Rollen zu schlüpfen. Bestimmte Praktiken nachzuvollziehen. Überhaupt immer bereit für Sex zu sein, immer zu können. Das verunsichert Jungen und Mädchen. Da sind sie schnell überfordert, was sich auch nachhaltig auf die Entwicklung der eigenen Sexualität auswirken kann.

Führt das zu mehr Sex unter Jugendlichen?

Zumindest nicht in der Breite. Denn interessanterweise steigt das Durchschnittsalter für die ersten sexuellen Kontakte langsam, aber stetig an.

Es gibt häufig die Aussage, Pornokonsum würde männliche Jugendliche dazu treiben, Mädchen sexuell zu missbrauchen. Gibt es da Hinweise?

Nein, das lässt sich so meines Wissens nach nicht belegen. Es gibt allerdings Hinweise, dass Medieninhalte bestehendes Verhalten verstärken können. Das ist ein bisschen wie bei der Diskussion um „Ballerspiele und Gewalt“.

Wie sollen Eltern damit umgehen, wenn Kinder Pornos anschauen?

Erst einmal tief durchatmen! Und dann ruhig und klar das Gespräch suchen, dabei Interesse zeigen: Wie und warum ist das passiert? Wollte das Kind vielleicht einfach mal „jemanden nackt sehen“? Oder hat es Infos gesucht – vielleicht kann ich die geben? Wichtig ist, dass Eltern zugewandt sind, den Kindern vermitteln, dass Handyentzug nicht die erste Reaktion ist!

Kinder und Jugendliche wachsen in einer gründlich sexualisierten Umwelt heran, das müssen wir uns als Erwachsene immer klarmachen, bevor wir schnell übers Ziel hinausschießen. Das ist Teil ihres Aufwachsens, ihrer Sozialisation. Wenn Eltern da einen Einfluss haben möchten, müssen sie zunächst einmal die eigenen Werte und Normen für den Umgang mit Pornografie hinterfragen – oder sie erst noch selbst erarbeiten.

Klar, Eltern sind da in der ganzen Breite gefragt. Zunächst einmal müssen sie die Mediennutzung der Kinder regulieren und begleiten – je jünger das Kind, umso wichtiger: Mit Jugendschutzfiltern und angemessenen Kindersuchmaschinen können sie den Kontakt mit Pornoseiten hemmen. Aber nie ganz verhindern. Aber das alles ersetzt das Gespräch nicht, das einen vertraulichen Umgang ermöglicht.

Und dann sagt man was?

Eltern müssen klarmachen, warum Pornos „falsch“ sind. Dass es „Fantasiefilme“ sind, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Und warum sich die Gesellschaft dafür entschieden hat, dass das nichts für Jugendliche ist. Da ist ein Perspektivwechsel gut: Man macht die Jugendlichen selbst zu Expert*innen, die urteilen müssen, warum es nichts ist für sie.

Natürlich ist es dann immer noch spannend! Aber im Grundsatz gilt, dass gut aufgeklärte Jugendliche in der Mehrheit die Inhalte besser einordnen können und damit besser vor negativen Auswirkungen geschützt sind.

Rein juristisch ist Sexting – das Versenden von erotischen Bildern und Texten innerhalb einer Beziehung – schnell selbst Pornografie, wenn es Minderjährige tun. Wie ist die sexualpädagogische Sicht darauf?

Aus sexualpädagogischer Sicht ist diese Form von Austausch nicht „unnormal“ – im Gegenteil, sie ist eine logische Konsequenz aus der Tatsache, dass Jugendliche heute gar nicht mehr zwischen online und offline unterscheiden. Sie sind in ihren Medien „zu Hause“. Hier ist es wichtig, über mögliche Konsequenzen aufzuklären und einen möglichst sicheren Umgang zu vermitteln, weil Verbote kaum umsetzbar sind. Wir nennen das „Safer Sexting“: kein Gesicht zeigen, keine Fotos im erkennbar eigenen Zimmer aufnehmen, die Metadaten löschen. Damit lässt sich das Risiko verringern, dass die Fotos später von getrennten Partner*innen zum Mobbing genutzt werden.

Darüber hinaus ist auch die rechtliche Aufklärung ein wichtiger Teil der Präventionsarbeit, inklusive klarer Informationen, dass ein Weiterleiten solcher Fotos verboten ist.*

Wie wichtig sind passende Medienkompetenz-Angebote zur Aufklärung über Pornografie?

Die sind sehr wichtig, und es gibt ja auch viele gute Materialien, die man nutzen kann. Mir ist wichtig, dass man sehr gut darauf achtet, was dem Alter angemessene Infos sind. Pädagogische Fachkräfte sollten sich im Vorfeld übrigens immer genau überlegen, was sie von sich preisgeben wollen. Es ist und bleibt ja ein sensibles Thema!


* Bei pornografischen Abbildungen Minderjähriger ist bereits der Besitz strafbar, darüber hinaus auch das Abspeichern und der Versand bzw. das Weiterleiten dieser Abbildungen. Dafür ist eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr vorgesehen. Wer entsprechende Materialien findet, sollte sich an die Polizei wenden und mit dieser besprechen, wie in dem individuellen Fall Beweise gesichert und weitergegeben werden können. Auch zur Warnung oder Prävention sollten solche Inhalte NICHT an Lehrkräfte, Eltern oder andere Personen weitergeleitet oder Screenshots von ihnen angefertigt werden!

Mehr zu diesem Thema lesen Sie im scout-fragt-nach-Interview „Kinder verbreiten (kinder-)pornografisches Material - was können wir dagegen tun?“ mit Heike Bredfeldt-Lüth von der polizeilichen Prävention in Schleswig-Holstein.

Weitere Informationen finden Sie auch auf der neuen Website der Landesanstalt für Medien NRW: Was ist dieses Sexting-Ding? Und wie kann es safer sein? Die Website klärt Jugendliche über ihre Rechte, Pflichten und mögliche rechtliche Konsequenzen beim Thema Sexting auf.