Interview mit Britta Ernst

"Komplette Handyverbote darf es in Schleswig-Holstein nicht geben"

Britta Ernst (SPD) ist seit September 2014 Ministerin für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein. Im Interview mit dem scout-Magazin erläutert sie die besondere Rolle des Themas "Digitales Lernen" und warum sie Peer-Projekte dabei für wichtig hält. Insgesamt seien die Schulen im Norden, so die Politikerin, beim Digitalen Lernen auf einem guten Weg.


Porträt von Bildungsministerin Britta Ernst (SPD)
Britta Ernst (SPD), Ministerin für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein | © Axel Schön

Frau Ernst, das Thema „Lernen in einer digitalisierten Gesellschaft“ ist ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit in Schleswig-Holstein. Sie haben im Jahr 2015 insgesamt 20 Modellschulen ausgewählt, um neue Konzepte zu fördern. Können Sie bereits ein erstes Fazit ziehen? Welche Rückmeldungen bekommen Sie?

Britta Ernst: Die Rückmeldungen aus den Schulen sind sehr positiv. Viele melden uns zurück, dass durch das Projekt eine erhebliche Dynamik in die Entwicklung gekommen ist. Ich habe mir auch regelmäßig in den Projektschulen ein Bild vom Stand der Umsetzung gemacht und mache es bei meinen Schulbesuchen bis heute. Mit großer Freude sehe ich dabei in allen Schularten hervorragende Konzepte und sehr gelungene unterrichtliche Umsetzungen. Die wissenschaftlich begleitete Evaluation des Projekts werden wir in Kürze beginnen; aus den Ergebnissen werden wir dann die notwendigen Schlüsse für die weitere Arbeit im Land ziehen. Es wird sicher auch um die Frage gehen, welche verbindlichen Standards wir für alle Schulen festschreiben können, ohne ihnen die notwendigen Freiheiten zu nehmen.

Frau Ernst, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Bildungspolitik und Schulentwicklung. Teilen Sie den Eindruck vieler Experten, Beobachter und Eltern, dass deutsche Schulen der medialen, digitalisierten Wirklichkeit weitgehend hilf- und konzeptlos gegenüber stehen?

Britta Ernst: Nein. Bei unserem Projekt „Lernen mit digitalen Medien“ haben sich 111 Schulen mit sehr interessanten Konzepten beworben, das zeigt ein großes Interesse. Die Auswahl der 20 Modellschulen ist der Jury wegen der Qualität der eingereichten Konzepte nicht leicht gefallen – es gibt also in den Schulen ein erhebliches Potential auch für die Integration digitaler Medien in Lernprozesse. Wir sind aber noch nicht auf dem Stand, den ich mir wünsche. Daher werden wir auch die Schlussfolgerungen aus dem Projekt auf der Abschlusstagung im Frühjahr 2017 für alle Schulen ziehen.

Wer Kinder im entsprechenden Alter hat, erlebt an Schulen immer wieder eine Art Kulturkampf. Die Positionen und Forderungen reichen gerne vom totalen Handyverbot bis zur sofortigen Einführung digitaler Schulbücher. Was können Sie als Ministerin tun, um zwischen diesen Ängsten, Unsicherheiten und Ansprüchen zu vermitteln?

Britta Ernst: Komplette Handyverbote darf es in Schleswig-Holstein nicht geben, und mir ist auch keins bekannt. Mein allgemeiner Eindruck ist zudem, dass es die absolute Ablehnung dem Einsatz digitaler Medien gegenüber immer weniger gibt. Die meisten Schulen sind auf dem Weg, differenzierte Positionen zu finden – im Einvernehmen mit den Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern. Ich mache den Schulen Mut, diese Themen offensiv anzugehen und neue Unterrichtsformen mit dem Einsatz digitaler Medien zu erproben. Der Einsatz digitaler Medien zielt vorrangig darauf ab, guten Unterricht zu ergänzen, zu bereichern und durch neue Möglichkeiten weiterzuentwickeln.

Alle Schülerinnen und Schüler müssen in der Schule die erforderlichen Kompetenzen für eine souveräne Mediennutzung erwerben können.

Britta Ernst

„Die schulische Bildung bereitet Kinder und Jugendliche für das Leben in einer digitalen Welt vor“, diesen Anspruch formuliert der aktuelle Bericht der Landesregierung zur Umsetzung des Digitalen Lernens. Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?

Britta Ernst: Unsere Schulen sind auf einem guten Wege – und wir fördern das. Die Kultusministerkonferenz erarbeitet zudem aktuell unter Federführung der Staatssekretäre Schleswig-Holsteins und Sachsens eine Strategie zur „Bildung in der digitalen Welt“. Die Veröffentlichung dieses Strategiepapiers ist für die zweite Jahreshälfte geplant. Mir ist Chancengerechtigkeit wichtig: Ich halte es für unverzichtbar, dass alle Schülerinnen und Schüler in der Schule die erforderlichen Kompetenzen für eine souveräne Mediennutzung erwerben können; auch dann wenn sie im häuslichen Bereich keine entsprechenden Möglichkeiten und Unterstützungsangebote haben.

Die Ausstattung vieler Schulen mit wenig oder veralteter Technik wird häufig kritisiert. Doch auch für pädagogische Konzepte müssen Kapazitäten im Schulalltag vorhanden sein. Liegen hier nicht eigentlich die größeren Defizite? Wäre es nicht Zeit für ein verbindliches Schulfach „Medien“?

Britta Ernst: Es gibt hervorragende Konzepte, das haben wir in unserem Wettbewerb „Lernen mit digitalen Medien“ eindrucksvoll gesehen. Diese Konzepte werden wir als Muster allen Schulen zur Verfügung stellen, wir schaffen ein Netzwerk. In unseren neuen Fachanforderungen sind medienpädagogische Inhalte umfangreich enthalten. Darüber hinausgehende Planungen für ein verbindliches Schulfach „Medien“ gibt es aktuell in Schleswig-Holstein nicht.

Ich halte Peer-to-Peer-Projekte für sehr sinnvoll.

Britta Ernst

Peer-to-Peer-Projekte, bei denen Kinder und Jugendliche von etwas älteren Schülern (Scouts) den Umgang mit Social Media, Games oder Smartphones lernen, gelten als sehr effektiv, aber auch anspruchsvoll. Was halten Sie von dieser Methode?

Britta Ernst: Ich halte solche Projekte für sehr sinnvoll und konnte kürzlich bei einem Besuch in einer unserer Projektschulen in Bad Schwartau auch die dortigen Handy- und Ipad-Scouts kennenlernen. Den gelegentlich vorhandenen Wissensvorsprung der Schülerinnen und Schüler mit den pädagogischen Fähigkeiten der Lehrkräfte und Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter zu koppeln, ist sehr erfolgversprechend. Meines Wissens haben auch viele Schulen in Schleswig-Holstein bereits Peer-to-Peer-Projekte dieser Art aufgelegt und erfolgreich in den Schulalltag integriert.

Im Nachbar-Bundesland Hamburg, wo Sie ja lange gearbeitet haben, werden solche Peer-Projekte vom Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung gefördert. Wäre das auch eine Option für Schleswig-Holstein, zum Beispiel über das IQSH?

Britta Ernst: Auch in Schleswig-Holstein werden solche Projekte bereits gefördert. So wurde eine Fortbildung zu Handy-Scouts von der Aktion Kinder- und Jugendschutz Schleswig-Holstein e.V. (AKJS) in Kooperation mit dem IQSH durchgeführt. Entsprechende Projekte (SchülerMedienLotsen) werden auch in Schleswig-Holstein z. B. durch den Offenen Kanal durchgeführt.

Darüber hinaus unterstützen wir bereits auf verschiedene Art und Weise den Bereich der Medienerziehung an Schulen. Lehrkräfte können im Rahmen einer Fortbildungsreihe ein Zertifikat in Medienerziehung erwerben, das sie u. a. auch zur Durchführung von Medienscoutprojekten befähigt, insgesamt aber einen weit größeren inhaltlichen Rahmen absteckt. Die ersten Zertifikate konnten im Sommer 2015 ausgegeben werden, der zweite Kurs wird in diesem Sommer von den teilnehmenden Lehrkräften abgeschlossen werden. Diese Kurse werden vom IQSH in Kooperation mit Partnern aus dem Netzwerk Medienkompetenz durchgeführt. Wir arbeiten hier und auch bei anderen Fortbildungsangeboten mit dem Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz, der Polizei, der Verbraucherzentrale, der Aktion Kinder- und Jugendschutz, dem Offenen Kanal, der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein und weiteren Anbietern zusammen.


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