Experten-Interview

Ja zur Medienkompetenz – Nein zur Medieneuphorie

Digitale Endgeräte im Grundschul-Unterricht? Heinz Schlüter, Leiter einer kombinierten Grund- und Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein, sieht derzeit zu viel unkritische Euphorie beim Thema „digitales Lernen“. Er warnt vor den negativen Wirkungen der Technik und wünscht seinen Schülern stattdessen mehr Erfahrungen in der realen Welt.


Herr Schlüter, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Britta Ernst hat das Thema „Lernen in einer digitalen Gesellschaft“ zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht. Sind Sie als Leiter einer der größten Grund- und Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein glücklich darüber?

Heinz Schlüter: Ich erlebe täglich Menschen mit gesenktem Kopf, die ihre Umwelt nicht mehr wahrnehmen, die beim Essen ins Smartphone schreiben. Ich sehe Kinder im Zug, die statt aus dem Fenster zu schauen mit dem Smartphone spielen. An der Schule finden sich zudem viele Facetten des Missbrauchs: Sucht, Missbrauch durch Bild und Tondokumentation, deren Verbreitung im Netz ohne Erlaubnis, und dann geht das in den Bereich sexueller Perversion, Gewaltverherrlichung, Mobbing. Das sind die Realitäten, selbst auf dem flachen Land. Die erlebe ich bei Kindern auf ihren digitalen Endgeräten, und ich sehe da auch nur die Spitze des Eisberges.

Sehen Sie neben den Risiken auch Chancen bei dem Thema?

Heinz Schlüter: Ich sehe das Smartphone als kommerzielles Medium, das Abhängigkeit fördert. Es bietet Raum für Respektlosigkeit, Anonymität, Feigheit, Mobbing, Sucht und Missbrauch. Aber es bietet auch kreative Möglichkeiten. Als Schule sind wir in einer Crux: Wir haben ein Medium, mit dem man etwas Positives machen kann, auf der anderen Seite wird damit unheimlich viel Missbrauch betrieben. Das ist für die Schule eine Herausforderung. Ich möchte weg von der allgemeinen Euphorie hin zu einem wirklich gezielten und überlegten Einsatz.

Ab welchem Alter sehen Sie die Gefahren?

Heinz Schlüter: Das beginnt massiv mit Klasse 5 und 6.

Wäre es deshalb nicht eine Aufgabe, bei der Schule frühzeitig aktiv werden muss, etwa mit Konzepten wie dem Internet-ABC?

Heinz Schlüter: Da sind wir dabei, in der 3. und 4. Klasse. Und wir denken über Elemente eines PC-Führerscheins nach. Wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen, auch Veranstaltungen in den Klassen, bei denen die Polizei eingebunden ist. Medienkompetenz vermitteln wir, natürlich, aber keine Medieneuphorie, bei der man sagt, es gibt nur noch Tabletklassen und jeder muss zur Einschulung ein Smartphone in die Schultüte bekommen. Ich finde es ganz wichtig, dass es eine Zeit ohne diese Geräte gibt. Von der ersten und zweiten Klasse würde ich das weitgehend fernhalten. Genauso wie ich finde, dass Kinder bis zu einem gewissen Alter nicht vor dem Fernseher hocken sollten. Es gibt ja Untersuchungen unter anderem von Manfred Spitzer zur „digitalen Demenz“, die zeigen, was mit Kindern passiert, die nur mit digitalen Geräten konfrontiert sind.

Und das finden Sie plausibel?

Heinz Schlüter: Das ist für mich zum Teil plausibel, ja. Das ist ja auch häufig Suchtverhalten. Bei uns darf das Handy im Unterricht benutzt werden, die Schüler dürfen das Handy auch mit zur Schule nehmen, aber es ist ausgeschaltet. Wenn es eingeschaltet wird, dann besteht ja immer die Gefahr, dass man Unsinn damit macht, dann wird es eingesammelt. Und da erleben wir weinende und schreiende Schüler, die nicht einen Nachmittag auf ihr Handy verzichten können. 15-Jährige brechen unter Tränen zusammen. Da habe ich Skepsis.

Ihre Befürchtung ist, dass man diese Suchtstrukturen fördert, wenn man digitale Endgeräte zu früh im Unterricht einsetzt?

Heinz Schlüter: Ich bin der Meinung, Schüler in einem bestimmten Alter sollten die reale Welt erleben, draußen sein und durch die Natur streifen.

Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL) sagt: Die Digitalisierung im Klassenzimmer führe lediglich zu einer Häppchen-Kultur, die Inhalte würden nicht mehr richtig aufgenommen und die Schüler mehr abgelenkt als echt gebildet. Würden Sie ihm zustimmen?

Heinz Schlüter: Es gibt natürlich so eine Häppchenkultur, bei der am Schluss kein zusammenhängendes Bild entsteht. Wenn mir der Background fehlt, dann bin ich auch das ideale Opfer für Manipulation, die überall lauert.

Sie befürworten einen eher klassischen Bildungskanon?

Heinz Schlüter: Das will ich gar nicht unbedingt sagen. Es sollte so etwas wie einen Bildungskanon geben, aber Schule muss auch auf Entwicklungen reagieren. Ob sie immer auf alles reagieren kann, weiß ich nicht. Wo wir Handlungsbedarf sehen, tun wir auch was. Im Bereich der Medienerziehung sind wir, was die oberen Klassen anbelangt, schon seit einiger Zeit massiv tätig. Wir betreiben Aufklärung zum bewussten Umgang mit Medien, veranstalten Elternabende mit Expertenvorträgen, loten die nützlichen Möglichkeiten der Medien aus und setzen sie auch im schulischen Unterricht ein. Aber es gibt auch ein Leben ohne diese Geräte.

„Deutschland braucht die digitale Bildungsrevolution“ heißt es in einer aktuellen Bertelsmann-Studie. Realität sind oftmals fehlendes W-Lan, veraltete Hardware, wenig Fortbildung von Lehrkräften. Worüber würden Sie sich als Leiter einer großen Grund- und Gemeinschaftsschule bei diesem Thema am meisten freuen?

Heinz Schlüter: Ich wünsche mir, dass man bei allen didaktischen Entscheidungen kritisch überlegt und Konzepte nicht euphorisch einführt. Denken sie an die Sprachlabore, die sind heute alle verschwunden. Was die Technik angeht, sind wir gut ausgestattet. Unsere Gemeinde stellt einen IT-Techiker, der sich um den Hard- und Softwarebereich kümmert. Wir haben an der Schule eine Mediengruppe aufgebaut, die alle Schritte vorbereitet. Ich wünsche mir, dass man von den Schulträgern langfristig die Mittel zur Verfügung gestellt bekommt, die man braucht, um Hard- und Software ständig zu erneuern. Die Kosten zu stemmen ist ein enormer Faktor. Wir haben an der Schule rund 150 PCs. Sie können sich ausrechnen, was es kostet, die turnusmäßig alle vier oder fünf Jahre auszutauschen. Wie lange die interaktiven Tafeln halten, weiß auch noch niemand. Das sind alles Faktoren, die müssen bezahlt werden. Auch deshalb bin ich eher für einen behutsamen Einstieg in die ganze Thematik.


Porträtbild von Heinz Schlüter
Heinz Schlüter, Leiter der Geestlandschule Kropp | Foto: privat

Heinz Schlüter (63) ist seit zehn Jahren Rektor der Geestlandschule Kropp. Die kombinierte Grund- und Gemeinschaftsschule ist mit 1240 Schülern an vier Standorten eine der größten Schulen in Schleswig-Holstein. Der in Flensburg geborene Pädagoge entstammt einer alten Lehrerfamilie und engagierte sich in seiner beruflichen Laufbahn insbesondere für die methodische Weiterentwicklung des Technikunterrichts.

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