Altersfreigaben bei „Video on Demand“

Hallo Streaming! Bye-bye Jugendschutz?

Zeitlich gebundenes Fernsehen war gestern. Heute wird gestreamt. Bleibt dabei der gewohnte FSK-Jugendschutz auf der Strecke? Ein bisschen schon.


Ein Junge schaut fern
Foto: Kelly Knox/Stocksy

„Start“ gedrückt, und schon geht es los mit „Obsession/Tödliche Spiele: Uncut“.
Der Inhalt: „Drei Horrorgeschichten um Tod und Sex.“

Der Film ist zwar laut FSK-Klassifizierung erst ab 18 Jahren zu sehen, aber hier für jeden frei zugänglich: www.netzkino.de. Netzkino ist eine populäre Seite für das legale Streaming von Filmen. Der Kunde muss Werbespots vor dem Filmstart in Kauf nehmen, dafür gibt es den Filmgenuss umsonst.

Wer über 40 ist, hat es vielleicht noch nicht so ganz mitbekommen: Das zeitlich gebundene Fernsehen löst sich mit der wachsenden Popularität von Streaming-Plattformen wie Watchever oder Netflix langsam aber sicher auf. Und damit auch die Gewissheit, dass es einen so einfach geregelten Jugendschutz wie beim klassischen Fernsehen nicht mehr gibt. Die zeitliche Bindung ermöglichte es schließlich, jugendbeeinträchtigende Inhalte erst nach 22 Uhr (FSK 16) oder 23 Uhr (FSK 18) zu senden.

Streaming fängt schon im Kinderzimmer an, wenn das Kindergartenkind zum Ausruhen auf dem elterlichen Tablet eine Folge „Shaun das Schaf“ schauen darf. Und für viele Jugendliche ist es heute selbstverständlich, auf halblegalen Streamingplattformen ihre Lieblingsserien zu schauen.

Zwischen die halblegalen Plattformen, die sich, weil sie auf ausländischen Servern laufen, nicht um deutsche Gesetzgebung kümmern, und das klassische Fernsehen mit seinen klaren Regelungen haben sich in den vergangenen zwei Jahren zahlreiche professionelle Streaming-Anbieter geschoben, die gegen monatliche Gebühren das Filmegucken als Flatrate anbieten: Amazon Prime, Videoload, Maxdome, Netflix, Watchever, um nur die größten zu nennen. Das sind die Streaming-Portale der Erwachsenen, die von Kindern und Jugendlichen mitgenutzt werden.

Die Anmeldung bei diesen Diensten ist mit einer E-Mail-Adresse, einem Passwort und der Bezahlung per Kreditkarte, Bankeinzug oder PayPal schnell erledigt. So ist wenigstens beim Einstieg gewährleistet, dass ein Erwachsener das Nutzerkonto anlegt. Die Filme laufen dann auf Internet-fähigen Fernsehern, Computern, auf mobilen Geräten und auf Spielkonsolen.

Es gibt aber einen grundsätzlichen Unterschied, was Jugendschutz im Fernsehen und beim Streaming betrifft: Im Fernsehen ist grundsätzlich alles schön geordnet, Eltern können weitestgehend auf ein System vertrauen, das Kindern und Jugendlichen keine Inhalte zumutet, die sie beunruhigen oder beeinträchtigen könnten.

Bei den Streaming-Plattformen müssen sie selbst tätig werden. Leider nutzen die Anbieter sehr unterschiedliche Schutzmechanismen. Manche Plattformen setzen auf die Eingabe einer PIN zur Altersfreigabe. Dahinter verschwinden dann die FSK-16- und FSK-18-Inhalte. Wer eine PIN einrichtet, kann damit zumeist die FSK-Altersgrenze frei abspielbarer Filme nach unten schieben: Wer also FSK 12 als „Grenzwert“ für den PIN zulässt, kann nur Inhalte mit FSK 6 direkt ansteuern.

Die voreingestellte PIN ist 0000.

scout

Alle PINs müssen aber aktiv eingerichtet werden. Wer zum Beispiel bei Watchever nicht von Anfang an eine eigene PIN benennt, bekommt jedes Mal beim Aufrufen eines FSK-16-Films ein lustiges Dialogfenster zu sehen: „Bitte geben Sie Ihre PIN ein: _ _ _ _. “ Und direkt darunter: „Die voreingestellte PIN ist 0000.“

Einige Dienste richten auch separate Accounts für Eltern und Kinder ein, Netflix zum Beispiel.

Dabei können auch Profile für unterschiedliche Altersstufen angelegt werden. Was vorbildlich klingt, ist in der Praxis schnell umgangen: Die Kinder können mit einem Klick ins elterliche Profil wechseln und sich Inhalte bis FSK 16 jederzeit anschauen: „SAW II“ zum Beispiel … Allerdings archivieren fast alle Dienste, so auch Netflix, den Sendungsverlauf. So kann jederzeit nachvollzogen werden, wenn sich die Kinder heimlich einen Horrorstreifen zu Gemüte geführt haben. Videoload, ein Angebot von T-Online, sendet bei jedem Abruf von FSK-16- und FSK-18-Filmen eine E-Mail an den Besitzer des Benutzerkontos.

Während beim Umgang mit FSK-16-Filmen ein eher uneinheitlicher Umgang herrscht, so ist bei FSK 18 schnell Schluss mit lustig.

Um die Volljährigkeit des Accountbesitzers nachzuweisen, werden verschiedene Authentifizierungsverfahren genutzt. Üblich ist unter anderem das postident-Verfahren, bei dem zur Identitätsprüfung in einer Postfiliale nach Vorweisen des Personalausweises eine Unterschrift geleistet werden muss. Gängig ist auch das direkte Eintippen von Zahlencodes des Personalausweises zur Altersverifizierung – doch wie sicher ist das, wenn der „Perso“ offen zugänglich in einer Schublade liegt?

Unsinnigerweise können auch bei geschützten Accounts die Trailer von Filmen mit „16“- oder „18“-Stempel frei konsumiert werden. Allerdings sind deren Inhalte dann meist harmloser als der Film selbst, Sex und Gewalt werden nicht gezeigt, nur angedeutet. Sie sind aber sicherlich eine Anregung, nach den jeweiligen Filmen auf halblegalen Streaming-Plattformen zu suchen. Insofern „locken“ diese Trailer, die eigentlich verbotene Frucht zu pflücken.

Völlig uneinheitlich kommen auch die Altersangaben in den Filmbeschreibungen daher, sie sind manchmal geradezu versteckt. Anstatt die gängigen farbigen FSK-Buttons mit klar erkennbarer Alterszahl abzubilden, sind sie dann unauffällig wie in einem Suchbild untergebracht. Das ist fast durchgängig der Fall, sodass man ruhig eine eindeutige Absicht unterstellen kann.

„Alle über Snap abrufbaren Serien und Filme sind mit einer Altersangabe versehen, die darüber informiert, für welches Alter der entsprechende Inhalt geeignet ist. Bitte orientieren Sie sich an diesen Angaben, wenn Sie Filme bzw. Serien für Ihre Kinder auswählen“, heißt es auf der Streaming-Seite Snap des Pay-TV-Anbieters Sky. Tatsächlich sind die Angaben auf den Teasern der Überblicksseiten meist gar nicht zu erkennen, beim Anklicken der „näheren Informationen“ sind sie in der dünnsten und kleinsten Typografie gesetzt, die es auf der Seite zu sehen gibt.

Wer nun darüber nachdenkt, einen der Streamingdienste zu abonnieren, muss sich auf jeden Fall schon zu Beginn mit den Jugendschutz-Funktionen vertraut machen und selbst aktiv werden. Bei Amazon Prime zum Beispiel können nach der Anmeldung alle FSK-16-Inhalte so lange frei konsumiert werden, bis der Nutzer die Kindersicherung aktiv eingerichtet hat. Diese zu finden, ist in der unübersichtlichen Benutzerführung gar nicht so leicht. Und selbst wenn sie eingerichtet ist, muss sie auf bestimmten Endgeräten erneut aktiviert werden – bei Amazon Prime gilt das zum Beispiel für die X-Box.

All das macht deutlich: Jugendschutz ist beim Streaming nicht „umsonst“ zu haben. Anders als beim Fernsehen, das feste Strukturen vorgibt, müssen Eltern bei den Streaming-Plattformen selbst aktiv werden. Wer sonst immer schön brav seine Häkchen in die vorgegebenen Kästen klickt und AGB ungelesen annimmt, der mutet seinen Kindern eine schier unbegrenzte Menge verstörender Erfahrungen zu.

Netzkino behauptet in seiner Selbstdarstellung, „Jugendschutz ernst zu nehmen“. Deshalb habe man alle Filme für Jugendschutz-Software codiert. Auch, wenn damit die rechtlichen Mindestanforderungen erfüllt werden: Die Bedürfnisse der Eltern gehen darüber weit hinaus. Einige wissen kaum etwas über Jugendschutzprogramme, andere wünschen sich noch mehr Hilfe – über ein besseres Informationsangebot bis hin zur praktischen Handhabung der Software. Leider haben sich die beiden lizensierten deutschen Jugendschutzprogramme noch kaum durchgesetzt. Netzkino macht zwar damit nach geltenden Regelungen alles richtig, unter dem Strich sind aber so FSK-18-Inhalte ohne einen wirkungsvollen Schutz oder eine Sperre für die meisten Kinder und Jugendlichen tagsüber zu sehen. Ironischerweise ist Netzkino einer der ganz wenigen Anbieter, welche die FSK-Buttons groß und gut sichtbar an den Filmteasern anbringen.

So zeigt der Blick auf die Streaming- und Video-on-Demand-Portale vor allem eins: Es gibt noch längst keine so klaren verbindlichen Jugendschutz-Regelungen wie im „normalen“ Fernsehen. Eltern sind gezwungen, sich mit zum Teil komplizierten Nutzermenüs auseinanderzusetzen, nicht alle werden sich die Mühe machen, eine optimale Lösung zu finden. Und es gibt noch einige Schlupflöcher zur Umgehung der Alterssperren, die findige Jugendliche nutzen können und werden.

Die Landesmedienanstalten, per Gesetz die Überwacher des Jugendschutzes, haben übrigens das Thema kürzlich aufgegriffen: Sie suchen gemeinsam nach einheitlicheren Lösungen, um dem Streaming-Wildwuchs ein Ende zu bereiten.