Digitalisierung

Familie 2.0: Alles auf Zuckerberg

Vor 25 Jahren legten die Eltern von heute noch Filme in ihre Fotoapparate ein. Deren Kinder machen ihre Bilder heute mit Smartphones – und hören damit Musik, spielen Games, etc. Durch die Familien zieht sich manchmal ein digitaler Graben – unüberwindbar?


Kleine Spielfiguren auf einem Berg von Kabeln
Foto: Jürgen Herschelmann

Als Thomas Gottschalk zum ersten Mal „Wetten, dass..?“ moderierte, war Mark Zuckerberg gerade eben dem Pampers-Alter entwachsen. Facebook war noch unvorstellbar. Federleichte Mobiltelefone, flunderflache Computer, die mit einem Fingerwisch zu bedienen sind – alles pure Science Fiction. Und das World Wide Web? Mümmelte zu dieser Zeit noch als Versuchskaninchen in einem Schweizer Labor. Fernsehen war das unangefochtene Leitmedium Nummer eins: Vater, Mutter, Kind versammelten sich samstagabends pünktlich um 20.15 Uhr vor den Bildschirmen. 21 Millionen allein im Dezember 1987, macht statistisch 5,25 Millionen damaliger deutscher Durchschnittsfamilien (Eltern und zwei Kinder).

Der Fernseher war damals ein modernes Lagerfeuer, eine Art sozialer Kitt. Populäre Sendungen produzierten reichlich Gesprächsstoff für den Montagmorgen, und damit ein Gefühl der Gemeinsamkeit. Innerhalb der Familie, mit Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen. Alle konnten mitreden, alle hatten das gleiche erlebt. Es war die Zeit der „Straßenfeger“, ein Wort, das heute niemand mehr in den Mund nimmt. Es ist ein Wort aus einer analogen Welt. Mit Büchern aus Papier, mit Wählscheibentelefonen, mit Kameras, in die man noch Filme einlegte.

Viele Jahre später ist alles digital

Die nächste Generation ist anders. Digital. Das Fernsehen ist heute nur ein einzelner Planet im Medienkosmos einer Familie: Mobile Computer, Spielekonsolen, Handys, die Fotos machen, Musik spielen und das Wetter vorhersagen können, gehören heute dazu – auch für die Kinder. So besitzen bereits 63 Prozent der Zehn- bis Elfjährigen ein eigenes Handy, 39 Prozent haben einen eigenen Fernseher, 54 Prozent eine Spielkonsole und 19 Prozent dieser Altersstufe verfügen über einen eigenen Computer. Kinder wissen, welches Handy neu auf dem Markt ist, welches Game gerade angesagt ist – und WhatsApp ist ihr zweites Zuhause. Viele Eltern kommen da nicht mehr mit. Ihre Kinder sind Eingeborene der digitalen Welt – Digital Natives. Sie selbst lediglich Migranten, gar nur Touristen zwischen den Datenströmen. In der analogen medialen Welt kannten sie sich aus, das Angebot war überschaubar. In den neuen Medien, in der Unendlichkeit des Internets, sucht sich jeder, was er gerade braucht: Infos bei Google, Spaß bei YouTube, Kommunikation und Verständnis in Chats mit realen und virtuellen Freunden, Musik und Filme auf (illegalen) Download-Sites, Hausaufgabenhilfe in Foren. Blicken Vater und Mutter nicht mehr durch, ist Streit vorprogrammiert: „Du hängst zu viel vor der Kiste rum!“ – „Ihr habt doch keine Ahnung!“. Stimmt leider: Eltern und Kinder trennt ein digitaler Graben. Die Eingeborenen auf der einen, die Touristen auf der anderen Seite. Es hilft nur eins: Brücken bauen.

Für die 13- bis 35-Jährigen ist Facebook das, was früher die vollgekritzelte Sitzbank auf dem Marktplatz war: Der Platz zum gemeinsamen Abhängen.

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Der Mainzer Medienpädagoge Stefan Aufenanger erklärt diese Kluft mit einem anderen Bild. Er sagt, der „Raum Familie“ habe sich durch die neuen Medien ausgeweitet. Neben einem „realen“ gibt es nun auch einen „virtuellen Raum“.

Nun sei es an den Eltern, beide Räume untereinander zugänglich zu machen, und beide auch zu möblieren. Sie müssten ihre Familie 2.0-fähig machen. Denn die Digital Natives finden in ihrer Heimat längst nicht nur Idyll. Die neuen Medien, besonders das Mitmachnetz 2.0, bergen auch Gefahren: Gewaltdarstellungen und Pornografie auf leicht zu findenden Websites, sexuelle Belästigungen oder Mobbing in Chats, Links und Kontaktfelder, hinter denen Kostenfallen lauern.

Auf dem Weg zur Familie 2.0 hilft vor allem eins: gemeinsam Medien nutzen. Das World Wide Web ist genauso wenig Teufelszeug wie passives Sofamedium. Surfen kann man durchaus auch zu zweit, zu dritt, zu viert. Bei YouTube, Facebook, beim Basteln eines digitalen Fotobuchs vom vergangenen Urlaub (die Fotos wurden selbstverständlich mit dem Handy gemacht). Und das ist längst nicht alles. Die neuen Medien sind noch viel mehr als Internet und Handys. PlayStation oder Wii zählen auch dazu, und sie erleichtern den ersten Schritt zur gemeinsamen Mediennutzung.

Grenzen vor der Unendlichkeit

Kleine Spielfiguren auf einem Laptop
Alltagsgegenstand. Foto: Jürgen Herschelmann

Der zweite Schritt beim Brückenbau über den digitalen Graben: Regeln vereinbaren. Denn darin unterscheiden sich die TV-Familie von damals und die Familie 2.0 von heute nicht besonders. Egal ob Fernsehen oder Netz, es müssen Grenzen her. Allerdings sind sie in den grenzenlosen Weiten des Internets noch wichtiger geworden. Je nach Alter sollte ein Zeitbudget vereinbart werden, Eltern müssen festlegen, auf welchen Internetseiten ihre Kinder surfen, welche TV-Sendungen die Kleinen gucken und welche Computerspiele sie nutzen dürfen.

Facebook übrigens hat auch strenge Regeln: Unter-13-Jährigen ist der Zutritt verboten (wenn auch fraglich ist, wie dies genau kontrolliert wird – und auch manche Sechsjährige mit ihrem Account prahlen). Für die 13- bis 35-Jährigen jedoch ist die Social-Media-Plattform das, was früher die vollgekritzelte Sitzbank auf dem Marktplatz war: der Platz zum gemeinsamen Abhängen, wo man garantiert immer jemanden treffen konnte. Und die Nutzerzahlen nehmen zu. In Deutschland sind es jetzt mehr als 27 Millionen.

Von so einer Quote kann Markus Lanz heute nur noch träumen. Und in 20 Jahren? Wird es garantiert wieder eine neue Technologie, ein Gerät, eine Software geben, die wir heute noch für unvorstellbar halten. Wetten, dass..?


Dieser Artikel ist in der scout-Ausgabe 3_2011 erschienen.