Jedes Kind soll Internet haben!

Was Schüler der Stadtteilschule Kirchwerder in Hamburg über Kinderrechte in digitalen Zeiten zu sagen haben.


Die Stadtteilschule Kirchwerder im Osten von Hamburg ist eine Ansammlung von Flachbauten aus den 1960er-Jahren. Im Pavillon der Schule treffen sich zwölf Schüler der 5., 7. und 9. Klassen mit Lehrerin Helen Zimmermann zu einem Workshop zum Thema „Kinderrechte in der digitalen Welt“ (ab jetzt „digitale Kinderrechte“ genannt, damit es nicht so kompliziert klingt). Ein etwas abgehobenes Thema für diese Altersgruppen? „Keine Angst, die haben Bock darauf“, sagt Helen Zimmermann. Die Schüler verteilen sich derweil klassenstufenweise an Tischen, die Lehrerin wirft das Smartboard an, gibt einen Ausblick auf die folgenden fünf Stunden: Es geht los mit „Was sind (digitale) Kinderrechte? Infos und Ideen“ und dann weiter mit „So stelle ich mir meine Welt vor! Ist-Zustand und Forderungen."

Also als Erstes bitte Vorschläge zusammentragen und aufschreiben, was Kinderrechte überhaupt sind. Leon aus der 5. rutscht ein wenig auf dem Stuhl hin und her, dann sagt er: „Sauerstoff? Taschengeld?“ Schon nicht schlecht, aber da ist noch Luft nach oben. Nach zehn Minuten Getuschel und Gekritzel meldet sich Clara aus der 5.: „Gesundheit und Hygiene. Gewaltfreie Erziehung!“ Lino (5.) fügt hinzu: „Gleichheit, freie Meinungsäußerung!“ Melvin (5.) toppt das Ganze und fordert „Information und Beteiligung“ ein.

Die Schüler der 7. und 9. Klassen staunen, das hätten sie den „Kleinen“ nicht zugetraut. Jonah (9.) hebt nun den Finger, stellt „Bildung“ in den Raum. Auch vom Tisch der 9. Klasse kommt der Beitrag „allgemeine Menschenrechte“, also: „Würde!“ Schließlich ist in diesen Tagen der 70. Geburtstag des Grundgesetzes in allen Medien, da muss was hängen geblieben sein. Melvin lüftet dann das Geheimnis der 5.-Klässler-Expertise (aber nicht so laut, dass es die Großen leicht hören könnten): „Wir hatten vorletzte Woche schon einen Workshop über UNICEF und das Recht auf Wasser, da wurden die anderen Sachen auch angesprochen.“

So oder so, die Lehrerin ist beeindruckt: „Das war ja schon einmal ganz schön viel!“ Und leitet über zu den digitalen Kinderrechten: „Hat irgendjemand eine Idee, was damit gemeint sein könnte?“ Jetzt sind die Vorstellungen schon etwas verwaschener: „Was mit Handy?“ „Internet?“ „Irgendwie Medien, etwa Snapchat?“ Joshua wird schnell konkret: „Instagram ist ab 13, WhatsApp ab 16 – wo ist da der Sinn?“ Die Lehrerin stellt ein paar Stichworte in den Raum: „Was ist mit Datenschutz, mit Privatsphäre, was ist mit Jugendschutz?“

Datenschutz und Privatsphäre – das wirkt sofort bei den Schülern: Alle machen sich Sorgen um ihre Daten, um Fotos. Und WhatsApp steht im Fokus. Lehrerin Zimmermann erzählt, dass Nutzer des Messengers die Rechte an den Inhalten abgeben, was die Schüler durch die Bank empört. Clara findet es nicht gut, „dass Profile angelegt werden, dafür greifen die auf unsere Daten zurück“. Lino erzählt, dass er Freunde anspricht, ihren Messenger zu wechseln, zu einer App, welche die Inhalte der Nutzer nicht weiterverwendet.

„Und was ist, wenn sich die Eltern für Eure Inhalte interessieren?, fragt die Lehrerin. Datenschutz und Eltern – das ist ein Spannungsfeld: Dürfen die Eltern die Handys der Kinder tracken, nach problematischen Inhalten durchsuchen? Beim GPS-Tracken sind die Schüler gespalten. Erreichbar sein wollen sie alle. Aber verfolgt werden, von „Eltern als Stalkern“, wie es ein Neuntklässler formuliert, vielleicht doch lieber nicht. Sie wägen Vor- und Nachteile ab. „Was, wenn ein Kind entführt wird?“, kommt es aus der Runde. „Wie oft passiert das, wie wahrscheinlich ist es?“, fragt die Lehrerin. Eltern sollten Schutz und Freiheiten abwägen, heißt es vom Tisch der 9. Klasse: “Als Eltern muss man seinen Kindern ja auch vertrauen.”

Im Internet wird entdeckt, dass Eltern das Handy ihrer Kinder nur dann durchsuchen dürfen, wenn eine Form von Gefahr für das Kind abgewehrt werden muss. "Da reicht es aber nicht, wenn Eltern die Freunde ihrer Kinder nicht mögen und nachschauen, ob die zusammen Mist machen”, sagt Lino. Mattis (auch 5. Klasse) hat derweil recherchiert, dass das Briefgeheimnis auch für E-Mails und andere digitale Mitteilungen gilt.

Helen Zimmermann verteilt nun einen Zeitungsbeitrag, in dem eine Mutter nachrechnet, bis zum 18. Geburtstag ihres Kindes rund 750.000 Bilder desselben veröffentlicht zu haben, wenn sie weiter so aktiv wäre wie bisher. Ist das okay? Ist das Posten von Kinderbildern überhaupt okay, wenn sich die Kinder auch später als Erwachsene gar nicht mehr dagegen wehren können? "Verpixeln!", kommt vom Tisch der 7. Klasse. Clara ist da rigoros, Kinderbilder sollten gar nicht hochgeladen werden: "Ich werde das später als Mutter auch nicht machen."

Die Schüler erkennen erstaunlich viele Probleme im Themenfeld "digitale Kinderrechte", haben ein durchaus klares Bewusstsein von den Risiken, die sie selbst betreffen. Doch was ist mit den Chancen der Tatsache, dass ihre Welt nun einmal durch und durch digital ist? Die Lehrerin lässt das Wort "Teilhabe" diskutieren: Was ist, wenn Schüler keine Handys besitzen (dürfen) oder irgendwo wohnen, wo es kein ordentliches Internet gibt?

Lino erinnert sich mit Grausen an ein paar Tage, als sein Smartphone kaputt war: „Das ging fast gar nicht ohne!“ Verabredungen, Absprachen in der Schulgruppe, Kommunikation mit den Eltern – lag alles brach. Gibt es also ein „Recht aufs Smartphone“? Joshua aus der 7. Klasse fragt: „Gab es denn früher ein Rech aufs Festnetztelefon?“ Das könne man nicht vergleichen, gibt Leon zurück: „Wenn die ganze Welt doch digital ist!“ Die 9. Klasse wirft noch einen Aspekt auf, der zum Bereich der Teilhabe gehört: „Wenn wir uns politisch informieren wollen, brauchen wir das Internet!“

Um schließlich noch die Wichtigkeit des Jugendmedienschutzes, ein weiterer relevanter Aspekt der digitalen Kinderrechte, zu unterstreichen, erzählt Helen Zimmermann von einem Fall aus der Schule, da waren pornografische Inhalte, “richtig schlimme” In einem Klassenchat gelandet. Von einem Nutzer, der sich eingeschlichen hatte. Clara sagt: “Wir haben ein Recht darauf, so etwas nicht zu sehen zu bekommen. Dann erzählt sie von einem Kettenbrief, den sie aufs Handy bekommen hat: “Der war sehr beunruhigend, und meine Mutter hat Anzeige erstattet.

So geht es in die letzte Runde. Die Lehrerin stellt die Aufgabe, klassenweise eine Liste mit Forderungen zu formulieren, die den Schülern wichtig sind. Eine weitere halbe Stunde Getuschel und Gekritzel folgt.

Und hier das Ergebnis:

Wir wollen, dass

  • jedes Kind Internet haben kann,
  • jede Schule kostenloses WLAN hat,
  • jeder digitale Nachrichten bekommen kann,
  • unsere Daten besser geschützt werden,
  • unsere Daten nicht verkauft werden dürfen,
  • Eltern fragen, bevor sie Fotos ihrer Kinder hochladen,
  • Geldfallen bei Games und Apps verboten werden,
  • wir vor Hackern geschützt werden
  • und es digitale Bildung gibt, die uns gutes Verhalten zeigt und auch, wie man sich sicher im Internet bewegt!

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