Meinungsfreiheit

Nichts als Pixel auf dem Bildschirm?

Wie ist das eigentlich mit der Meinungsfreiheit im Leben 2.0? Gibt es zu viel davon oder zu wenig? Und was ist diese Freiheit wert? Eine Diskussion mit Medienscouts und Schülern einer 10. Klasse am Gymnasium Allermöhe in Hamburg.


Zeichnung eines Mannes mit einem Megafon vor dem Mund
Es geht immer um Aufmerksamkeit – früher wie heute. (c) Alfred Schüssler

Zwei Schulstunden lang wird die 10. Klasse über Meinungsfreiheit in den neuen Medien diskutieren. Dazu hat fast jeder seine eigenen Ansichten. Und das ist ja auch gut so.

Zur Erinnerung: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten (…). Eine Zensur findet nicht statt.“ (Artikel 5, Abs.1 des Grundgesetzes)

Die freie Meinung, was bedeutet sie den Schülern der 10. Klasse? Ketil steigt gleich ganz konkret ein: „Es hat mit freier Meinungsäußerung überhaupt nichts zu tun, wenn jemand in einem Sozialen Netzwerk ‚Fick dich‘ postet“. Aber genau solche herabsetzenden Floskeln gebe es jede Menge im Netz. Denn Pöbeleien sind an der Tagesordnung, ob in den YouTube-Kommentarspalten oder auf Facebook. Fast alle haben solche Sachen gesehen und gelesen.

Doch ist das verboten, kann man dagegen vorgehen? Katharina hat sich gut vorbereitet, sie sagt: „Im Internet gilt dasselbe Recht wie auf der Straße. Wenn ich jemanden beleidige, verleumde oder Rufmord begehe, dann kann ich angezeigt und rechtlich belangt werden.“ Andreas tritt auf die Bremse: „Im Internet ist so eine Beleidigung doch viel schneller raus als im wirklichen Leben. Ich habe die Masse der Menschen, die das liest, in diesem Moment gar nicht vor Augen. Ich tippe, schicke ab, fühle aber nicht mit, weil ich auch denjenigen nicht sehe, den ich beleidige. Das sollte man immer bedenken.“

Finn, in Shorts und Chucks, bringt die Sachen gerne auf den Punkt: „Solche Pöbeleien oder die sogenannten ,Shitstorms‘ kennt jeder von uns. Ich bin da aber entspannt, denn anonym haben viele eine große Klappe. Und außerdem sind diese Ausdrücke nichts als Pixel ­auf dem Bildschirm.“ Auch Oksana hat eine Idee, warum mancher im Netzwerk lauter wird, als er es vielleicht im wahren Leben ist: „Es geht um Aufmerksamkeit. Man bekommt ‚Likes‘ für auffälliges Verhalten, man wird dann gesehen.“

Schnell kommt da die Frage nach den Grenzen von Ausfällen und Beleidigungen auf. Vladislav sagt: „Eigentlich sind die Grenzen im Internet schneller erreicht als in der realen Kommunikation, weil die schriftliche Beleidigung doppelt wirkt: zunächst einmal, wenn ich beleidigt werde, und dann noch einmal, weil alle anderen es mitbekommen.“

Mohammad ergänzt: „Eine Grenze ist sicher erreicht, wenn ich größere Gruppen herabwürdige.“

Eine Schülerin berichtet von einem Video, in dem sie auf übelste Weise verbal attackiert wurde. Sie sagt, ganz ruhig: „Da war die Grenze überschritten. Mein Vater hat bei YouTube angerufen, das Video war in zehn Minuten draußen.“ Die Mitschüler kennen ihre Geschichte und sind sich einig: Wer auf grobe Weise andere beleidigt, sollte auch gerichtlich belangt werden.

Man muss zu seiner Meinung stehen

sagt eine Schülerin

Das wird natürlich schwierig, wenn sich der Absender der verletzenden Äußerung hinter einem falschen Namen verbirgt. Anonymität im Internet – ist das überhaupt okay? Eigentlich nicht, weil die Anonymität im Netzwerk den Übeltätern das Fehlverhalten leichter macht. Finn wendet ein: „Ich möchte trotzdem manchmal irgendwo eine dumme Frage stellen dürfen, ohne gleich sinnlos beleidigt zu werden.“ Der Kommentar des Mädchens mit Negativerfahrung bei YouTube ist deutlich: „Wer sich äußert, sollte auch den Mut haben, offen zu seiner Meinung zu stehen. Man muss schließlich Kritik einstecken können, genau so, wie man gerne Anerkennung annimmt!“

Internet ist fast das richtige Leben

sagt eine andere Schülerin
Eine Zeichnung von einem Mann mit einem Megafone vor dem Mund, eine Sprechblase zeigt den Inhalt: #mMn
Es geht immer um Aufmerksamkeit – früher wie heute. (c) Alfred Schüssler

Bisher klingt es fast so, als ob die Freiheit der Meinungsäußerung nur Schaden anrichten würde. Was bedeutet dieses Grundrecht den Schülern jenseits von Zeiterscheinungen wie „Flamewars“ (wenn sich zwei Gruppen in Kommentarspalten gegenseitig verbal angreifen) und „Shitstorms“(wenn sich eine immer größere Gruppe mit immer größerer Geschwindigkeit und immer mehr Teilnehmern über etwas oder jemanden verärgert bis beleidigend äußert)? Gero sagt: „Meinungsfreiheit heißt, dass nicht gleich die Staatspolizei kommt, wenn ich mich kritisch zu einer Sache äußere. Das ist wichtiger als fast alles andere!“ Und Finn fügt hinzu: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ohne Meinungsfreiheit ist, weil sie für mich ja immer da war. Ohne dieses Grundrecht möchte ich nicht leben.“

Katharina weist darauf hin, dass man in Sozialen Netzwerken gemeinsam auch etwas bewegen kann. Man kann sich, wie jetzt beim Hochwasser, verabreden, um Sandsäcke zu füllen. Man kann sich zu einer Demonstration für die eigenen Rechte zusammenschließen. Manchmal aber überstürzen sich die Informationen auch, findet Ketil: „Beim Arabischen Frühling zum Beispiel war die schnelle Verbreitung so vieler Informationen vielleicht nicht immer gut für die vielen Menschen.“

Katharina berichtet von einer Vielzahl von Staaten, in denen Blogger verhaftet wurden, weil sie ihre Regierung kritisiert hatten. Demokratie ohne Meinungsfreiheit, das sei wie Internet ohne Strom. Was macht man aber mit denen, die unsere Demokratie abschaffen wollen und solche Gedanken äußern? „Ich habe viel darüber nachgedacht. Aber Meinungsfreiheit gibt es eben auch für blöde Ansichten“, findet Gero. Leider müsse man also auch den Nazis das Reden erlauben. Katharina macht klar, dass es hier genauso Grenzen gibt. Dann nämlich, wenn der Tatbestand der Volksverhetzung gegeben ist. Einer fasst zusammen: „Wenn jemand sagt, das Dritte Reich war nicht so schlecht, dann muss man das wohl hinnehmen. Wenn er aber sagt, die Vernichtung der Juden war richtig, kann man ihn verklagen.“ Und das, sagt Katharina, muss im Web und im richtigen Leben gelten.

Nachdenklich fügt Oksana hinzu: „Internet ist doch für uns schon fast das richtige Leben.“

Die Veranstaltung wurde von den Medienpädagogen Olivia Förster und Nils Krause (www.blickwechsel.org) moderiert und von den Medienscouts Katharina, Oksana, Andreas, Mohammad, Ajusch, Vladislav und Igor vorbereitet.


Dieser Artikel ist in der scout-Ausgabe 2_2013 erschienen.

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