Sechs Fragen: Wie gelingt ein guter Umgang mit Medien?

Cover der scout-Ausgabe 1/2025: 30 - Wer fragt, bekommt Antworten

Für die 30. Ausgabe von scout haben wir Antworten auf Fragen rund um Kinder, Jugendliche und deren Mediennutzung eingesammelt, die uns alle interessieren. 

 


Macht zu viel Konsum von sozialen Medien wirklich krank?

Lutz Wartberg, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Hamburg Medical School

„Die Weltgesundheitsorganisation gibt ein Klassifikationssystem von Krankheiten heraus. Dort findet sich keine Krankheit, die auf die Nutzung von sozialen Medien zurückzuführen ist. In der aktuellen Version gibt es allerdings mit ‚Gaming Disorder‘ und ‚Gambling Disorder‘ zwei Krankheitsbilder, die direkt mit digitalen Medien zu tun haben. Gaming disorder bezieht sich auf die problematische Nutzung von Computerspielen, Gambling disorder auf Glücksspiele. Viele Glücksspiele werden inzwischen online angeboten. Bisher war Sucht immer mit dem Konsum von Substanzen verbunden. Inzwischen wird aber davon ausgegangen, dass auch ein bestimmtes Verhalten ‚süchtig‘ machen kann. Die Idee einer allgemeinen ‚Onlinesucht‘ wird inzwischen kritisch hinterfragt. Auch die Nutzung von sozialen Medien gilt bislang nicht als eine solche Verhaltenssucht. Es gibt momentan allerdings sehr viel Forschung zu der Frage, ob die exzessive oder problematische Nutzung von sozialen Medien mit Belastungen wie etwa Veränderungen der Stimmung verbunden ist. Wenn man sich anschaut, wie viele Menschen weltweit und in Deutschland regelmäßig soziale Medien nutzen, ist das ja durchaus auch von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Selbst wenn nur für eine Minderheit daraus Probleme entstehen sollten, wäre es wichtig zu wissen, wie diese aussehen könnten. Hier gibt es aber noch viele offene Fragen. Aussagekräftige Langzeitstudien zu den Auswirkungen problematischer Nutzung sozialerMedien beispielsweise auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gibt es aber bislang kaum.“

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Weitere Infos zur "Gaming Disorder" auf klicksafe.de 

Ab wann soll Medienbildung beginnen?

Henning Fietze, Leiter Offener Kanal Schleswig-Holstein, www.oksh.de

„Mit null Jahren – sobald digitale Medien im Leben der Kinder eine Rolle spielen, geht es auch mit der erzieherischen Einordnung los! Vorbilder sind die Eltern: also bitte keinen Laptop beim Stillen nutzen und kein Smartphone beim Kinderwagenschieben zücken. Echte Bildungsprozesse können dann gerne aufs Kita-Alter verlegt werden! Medienbildung kann sogar vorgeburtlich starten: Wenn werdende Eltern Kurse von ‚Elternschulen‘ besuchen, ist dort in der Regel auch schon die Rolle von Medien für das Aufwachsen der zukünftigen Kinder ein Thema.“

Wieso fällt das Abschalten so schwer?

Lutz Wartberg, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Hamburg Medical School

„Anbieter sozialer Medien haben ein Interesse, Nutzer*innen lange in der Anwendung zu halten. Dafür werden Inhalte immer zielgenauer angepasst. Dazu kommen psychologische Tricks im Design der Apps (‚Dark Patterns‘), die es Nutzern schwer machen aufzuhören, obwohl sie es wollten. Meist sind wir uns solcher Versuche, unser Verhalten zu ‚steuern‘, nicht bewusst. Der ‚Infinite Scroll‘ ist so ein Trick: das Anzeigen von permanent neuen Inhalten in sozialen Medien. Zu den Dark Patterns zählen auch versteckte Rechnungen und erschwerte Abo-Kündigungen.“

Wo schläft das Handy?

Colette See, freiberufliche Referentin für Medienerziehung

„Ich könnte jetzt vermeintlich einfach antworten: ‚Nicht im Kinderzimmer!‘ Wenn ich es aber ernst meine mit der Medienerziehung, sollte ich doch differenzieren. Kinder und Jugendliche sollen schließlich befähigt werden, ihre Grenzen selbst zu finden – also ‚digital mündig‘ zu werden. Je jünger sie sind, umso mehr Unterstützung brauchen sie dabei. Und je älter die Kinder werden, umso mehr Vertrauensvorschuss muss ich ihnen geben. Und dann auch darüber sprechen: ‚Nimm es mit, aber Insta ist ab 21 Uhr aus!‘ Oder: ‚Nutze es als Wecker, aber daddel nicht mehr.‘ Wenn das nicht klappt, muss eine andere Lösung gefunden werden. Dann müssen wir unserer elterlichen Rolle nachkommen! Wichtig ist auch, regelmäßig zu checken, ob die genutzten Inhalte altersgerecht sind.“

Hört uns mal zu!
Jesper, 10 Jahre: Was ist dein größter Wunsch, wenn es um Medien und deren Nutzung geht?

"Ich fände es cool, wenn Smartphones auch eine Art VRFunktion hätten, und man könnte dann einen Tag lang in das Leben von etwa einem Fußballstar eintauchen und könnte richtig miterleben, wie das so ist. Ansonsten wünsche ich mir, dass die Leute weniger handysüchtig sind. Es nervt, wenn jemand immer sagt: ‚Warte mal, ich muss nur noch mal ganz kurz …‘

Und ich mag keine Fake News, das wäre gut, wenn sich da mal jemand was einfallen lassen würde.

Ich selber habe aber das Gefühl, ganz gut geschützt zu sein. Wenn ich etwa auf Inhalte im Netz versehentlich komme, die nicht für mein Alter gedacht sind, blockiert mein Tablet. Und wir wurden auch in der Schule aufgeklärt. Da waren Profis, die uns besucht haben, und sie haben uns Tipps gegeben, etwa für Handysucht, dass man seine Eltern auch selber mal bitten kann, das Handy oder Tablet eine Woche einzuschließen. Ich habe kein eigenes Smartphone, aber mein Tablet nutze ich so eine halbe Stunde oder Stunde am Tag. Für Spiele wie ‚Subway Surfer‘. Oder um Musik zu hören bei Spotify oder Music. An mein Zeitlimit komme ich oft gar nicht ran. Am Wochenende lese ich lieber – nicht am Tablet, sondern normale Bücher. Ich bin also nicht so süchtig. Mein Akku hält ewig, meist eine Woche. Aber wenn in der Schule alle plötzlich über eine neue coole App sprechen, dann will ich die natürlich auch ausprobieren."

Wie sieht eine gute und "gesunde" Mediennutzung aus?

Claudia Lampert, Expertin für Mediensozialisation am Hamburger Hans-Bredow-Institut

„Die Mediennutzung sollte sich an den individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen des Kindes orientieren und in einem ausgewogenen Verhältnis zu anderen nicht medialen Alltags- und Freizeitaktivitäten stehen. Besonders wichtig ist, gerade jüngere Kinder bei ihrer Mediennutzung zu begleiten. Und dabei zu beobachten, wie sie bestimmte Medieninhalte verarbeiten oder wie sie mit Herausforderungen umgehen: zum Beispiel mit Mechanismen, die darauf zielen, die jungen Nutzer*innen lange an ein Angebot zu fesseln. Mit zunehmendem Alter sollten Kinder unterstützt werden, ihre Mediennutzung eigenständig regulieren zu können. Hierzu zählt auch, dass Kinder und Jugendliche lernen, immer wieder selbst zu überprüfen, welche Art der Mediennutzung ihnen persönlich guttut. Der Austausch über die Mediennutzung in der Familie und die Rolle der Medien im eigenen Familienalltag helfen, ein gesundes Verhältnis zu digitalen Medien zu entwickeln.

Altersempfehlungen zur Mediennutzung und zur ‚Bildschirmzeit‘ (zum Beispiel von klicksafe, siehe QR-Code) bieten Eltern eine grobe Orientierung und können dabei helfen, eine Haltung zu dem Thema zu finden – und damit einen Medienumgang, der zu der eigenen Familie und zum Familienalltag passt. Neben der Zeit ist auch die Qualität der Inhalte wichtig! Bitte nicht vergessen: Gerade bei kleinen Kindern wiegt das Bedürfnis nach elterlicher Nähe und ungeteilter Aufmerksamkeit der Eltern oftmals schwerer als die Mediennutzung als solche. Das unterstreicht auch noch einmal die Vorbildfunktion der Eltern bei der kindlichen Medienerziehung.

Daneben gibt es noch die technische Seite: Mobile Endgeräte wie Smartphones und Tablets sind hoch entwickelte digitale Geräte mit unzähligen Funktionen und Möglichkeiten, die faszinierend sind, aber Kinder – und auch viele Erwachsene! –  oftmals überfordern. Bei der Frage, ab wann es das erste Gerät gibt, ist es wichtig, die genauen Bedürfnisse und Bedarfe zu klären: Geht es um Erreichbarkeit, Kommunikation, Spiel und Unterhaltung oder um die Nutzung bestimmter Apps? Das Alter des Kindes und der Verwendungszweck können wichtige Anhaltspunkte geben, um zu entscheiden, ob ein eigenes Smartphone wirklich sinnvoll ist oder wie dieses konfiguriert sein sollte.

Schließlich gilt: Es ist wichtig, die Kinder schrittweise an digitale Medien heranzuführen, dabei klare Regeln zu vereinbaren und stets darüber im Gespräch zu bleiben.“

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Tipps zu passenden Bildschirmzeiten auf www.klicksafe.de