Scripted Reality

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Wie erkenne ich Scripted Reality? Sagen Bilder immer die Wahrheit? Stimmen die Infos? Mit den Ansprüchen und Fragen an die Medien könnte man eine Enzyklopädie füllen. scout hat die wichtigsten Buchstaben zum Schein und Sein im TV herausgepickt.


Viele Buchstaben auf einem weißen Hintergrund
illustration: iStock

E wie Erkennen

Wenn sich in TV, Radio und Zeitung Fiktion und Realität kreuzen, birgt das Gefahren. Dabei ist so eine Kreuzung nichts Ungewöhnliches. Medien dienten schon immer gleichzeitig der Unterhaltung und der Information. Mit Spielshows, Spielfilmen und Seifenopern auf der einen und journalistischen Formaten wie Dokumentationen, Reportagen und Nachrichten auf der anderen. Reality-TV-Formate vermischen allerdings diese zwei Pole. Bei ihnen stehen sowohl für reale als auch für fiktive Elemente die Zeichen auf Vorfahrt. Das jedoch ist schwierig: Vor allem junge Zuschauer können so nur schwer erkennen, welche Infos richtig sind. Missverständnisse sind vorprogrammiert.

F wie Formate

Scripted Reality wie „Berlin – Tag und Nacht“: Falls Sie einmal ihren Nachbarn in einer solchen Sendung sehen sollten, erschrecken Sie nicht! Ihr Nachbar erzählt dort nicht aus seinem Leben, sondern versucht sich als Laiendarsteller. Diese Pseudo-Doku-Soaps dokumentieren nicht, sie laufen strikt nach Drehbuch.

Reality-Shows wie „Das Dschungelcamp“: Man nehme einige (prominente) Kandidaten, einen skurrilen Ort, ein paar aberwitzige Aufgaben, sehr viele Kameras und gebe den Zuschauern die Möglichkeit, ihre Meinung per Telefon- oder SMS-Voting kundzutun. Fertig ist die Reality-Show.

Casting-Shows wie „Deutschland sucht den Superstar“: Warum gewinnt bei „Deutschland sucht den Superstar“ eigentlich häufig derjenige, den wir anfangs kaum bemerkt haben? Ganz einfach, diese Überraschung ist das Kern-Prinzip der Sendungen. Egal ob „DSDS“ oder „GNTM“: Sie erzählen alle ein modernes Aschenputtel-Märchen.

Doku-Soaps wie „Goodbye Deutschland“: Wie es der Name sagt: Die Doku-Soap mischt Elemente aus Dokumentationen und Seifenopern. Menschen werden in bestimmen Lebensphasen oder schlicht in ihrem Berufsalltag mit der Kamera begleitet.

Reality-Dokus wie „Zuhause im Glück“: Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Hause, die Spülmaschine ist ausgeräumt, der Boden blitzt wie neu – und ist es tatsächlich auch. Genauso wie die Wände, die Möbel, die Deko. Solche Träume erfüllen Hilfe-Sendungen, in denen Spezialisten in Beratungsmission unterwegs sind, um das Leben schöner zu machen. Ob es tatsächlich schöner wird? Reine Geschmackssache.

H wie Hinweise

Reality-TV-Formate gibt es viele. Alle bedienen sich zahlloser Stilmittel, um Realität zu simulieren. Hier einige der beliebtesten:

Auf dem Bildschirm wird es persönlich: Der Zuschauer erkennt jede Gefühlsregung, weil die Kamera jedes Detail einfängt. Und das bekommt so enorme Bedeutung.

Es wird noch persönlicher, nahezu intim: Die Akteure offenbaren nicht nur ihr Privat- sondern auch ihr Seelenleben. Häufig wird das auch noch von anderen Akteuren der Sendung kommentiert und so zusammengeschnitten, dass ein ganz bestimmtes (negatives oder positives) Bild einer Person entsteht.

Es kommen große Gefühle ins Spiel: Reality-TV-Formate emotionalisieren. Bei „Bauer sucht Frau“ zum Beispiel hat jeder Kandidat eine Erkennungsmelodie, mit der er charakterisiert wird.

Alle Akteure kann man in Schubladen einordnen: Kleider machen Leute – und können Stereotype fördern. So trägt die Hartz-IV-Empfängerin oft Jogginganzug und der deutsche Urlauber Sandalen.

Es wirkt echt: Vor allem Doku-Soaps und Scripted-Reality-Sendungen arbeiten häufig mit den Stilmitteln von Dokumentationen, um authentisch zu wirken. Schlechte Kameraaufnahmen, raschelnde Ansteckmikros und Kamerateams, die zu sehen sind, aber auch eingespielte Interviews, erwecken den Eindruck von nachrichtlichen Beiträgen.

I wie Identität

Jugendliche schauen heute kein Fernsehen mehr? Sie surfen nur noch im World Wide Web? Mitnichten. Insbesondere bei Reality-TV-Formaten wie Castingshows oder Scripted Reality schalten sie ein – und das birgt längst nicht nur Gefahren, sondern auch Entwicklungsmöglichkeiten. In den Sendungen treffen sie nämlich auf Vorbilder und Antihelden. Mit ersteren können sich die Jugendlichen identifizieren, von letzteren können sie sich abgrenzen – und beides spielt für die Identitätsfindung in der Pubertät eine wichtige Rolle. Ähnlich ist es übrigens auch im Web 2.0: Dort können sie sich nämlich ausprobieren, können schnell und einfach in andere Rollen schlüpfen. Ein Mädchen, das in der Schule schüchtern ist, kann bei Facebook plötzlich frech ihren Schwarm liken oder im Chat den lustigen Kumpel geben. Ganz nach Belieben. Und die Reaktionen der Online-Freunde helfen, die ideale eigene Rolle zu finden.

R wie Retusche

Aus einer Mücke einen Elefanten machen? Mit der richtigen Software kein Problem. Ein Foto-Morphing-Programm verwandelt zum Beispiel ein Bild in einer kurzen Animation in ein anderes. Eingesetzt wird die Technik heute hauptsächlich in Filmen oder in lustigen Computerspielen. Die Software ist zum Beispiel auf vielen Smartphones installiert – wie viele weitere Apps, die ganz Ähnliches können: Menschen optisch altern und Bärte wachsen lassen oder aus zwei Bildern ein neues zusammensetzen. Möglich ist nahezu alles, egal ob in Videos oder auf Fotos. Die Möglichkeiten der Retusche sind seit jeher verlockend. Auch für politische Machthaber. Ein Beispiel: Benito Mussolini hatte sich hoch zu Ross mit gezogenem Schwert fotografieren lassen. Ein martialisches Bild, das dem italienischen Diktator für seine Propaganda nützlich schien. Dazu musste jedoch eine Kleinigkeit an dem Bild wegretuschiert werden: der Stallbursche, der das Pferd am Zügel hielt.

Dieser Text erschien in der scout-Ausgabe 2_2012 und wurde für den Relaunch der Website 2014 aktualisiert.

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