Fünf Fragen: Gute Gesellschaft - was können wir besser machen?

Für die 30. Ausgabe von scout haben wir Antworten auf Fragen rund um Kinder, Jugendliche und deren Mediennutzung eingesammelt, die uns alle interessieren. 

 


Wem und was kann ich eigentlich noch glauben im Netz?

Die Hamburger Medienwissenschaftlerin Katharina Kleinen von Königslöw

Jugendliche werden im Netz oft mit abstrusen Verschwörungstheorien konfrontiert. Wie gefährlich sind solche Inhalte?
Verschwörungstheorien sind hochgefährlich: Da wird die Klimakrise schnell mal zur Erfindung Chinas erklärt. Oder es wird unterstellt, dass die Migration nach Europa einem großen Plan einer geheimen Elite folge. Typisch ist: Menschen oder Menschengruppen werden zu Sündenböcken gemacht. Indem solche Erzählungen globale und komplexe Phänomene auf das Handeln einer kleinen Gruppe von Verschwörern zurückführen, versprechen sie zugleich auch, krisenhafte Situationen lösen zu können. So werden dann auch Angriffe auf die vermeintlichen Verschwörer vermeintlich gerechtfertigt.

Sind Jugendliche empfänglicher für Verschwörungstheorien als Erwachsene?
Sie sind ihnen stärker ausgeliefert! Untersuchungen zeigen, dass soziale Medien für viele junge Menschen die einzige oder die hauptsächliche Nachrichtenquelle sind. Gerade rechtspopulistische Parteien nutzen diesen Raum gezielt, um Desinformation zu verbreiten. Oft geht es dabei um ein reales Problem, das emotional aufgeladen und mit falschen Tatsachenbehauptungen völlig entstellt wird, um so ein politisches Narrativ zu stärken. Jungen Menschen fällt es oft schwer, diese Manipulation zu durchschauen.

Woran liegt das?
Zum einen, weil ihnen der Zugang zu etabliertem Wissen fehlt. Wir alle müssen ja ständig prüfen, inwiefern eine Information zu einer einheitlichen Theorie über die Welt passt. Oder ob eine Information uns zwingt, unsere Theorien anzupassen. Dafür braucht es aber einen Orientierungsrahmen, innerhalb dessen wir die Welt lesen. Und glaubwürdige Informationen. Sonst kann es schwierig werden, wahr von falsch zu unterscheiden.

Wie sollte man Jugendlichen begegnen, die sich in solchen Erzählungen verlieren?
Ich würde Eltern und Lehrern zunächst zu einem differenzierten Blickraten. Es gehört zum Jungsein dazu, die Welt der Erwachsenen herauszu fordern, die Dinge anders zu sehen und alles in Frage zu stellen. Das muss gar nicht immer so ganz ernst gemeint sein. Ein viraler Hit unter Verschwörungstheorien im Netz ist zum Beispiel die „Flache-Erde-Theorie“. Ich behaupte, wer sich damit beschäftigt, sucht einfach auch ein bisschen Unterhaltung.

Gelassen bleiben, in Ordnung. Aber was, wenn Jugendliche selbst Hilfe suchen, weil sie die Welt buchstäblich nicht mehr verstehen?
Im Rahmen einer Studie habe ich einen Fall kennengelernt, bei dem ein Mädchen über Social Media viel über die sogenannte Klimalüge erfahren hat. Sie hat sich dann fragend an ihren Lehrer gewandt, der direkt abgeblockt hat. Diese Reaktion passte im Grunde in das Muster der Verschwörungstheorie: dass die vermeintliche Wahrheit verschwiegen wird. Die Folge war, dass das Mädchen tiefer in die Verschwörungstheorie abdriftete. Eltern und Lehrer sollten Jugendliche, die das Gespräch über solche Themen suchen, anhören und sie ernstnehmen. Und gemeinsam mit ihnen auf die Suche nach Fakten gehen. Welchen Quellen wir dabei trauen können? Ich würde sagen, all jenen, die auf der Basis von Fakten arbeiten, die keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme anbieten.“

WAS VOM PFERD!
Hier geht's zum Fake-News-Heft von scout, Heft 1/22.

 

Warum sind Populisten auf TikTok so erfolgreich?

Susanne Wohmann, klicksafe.de

„TikTok erreicht die Jugendlichen auf einer alltäglich genutzten Plattform, auf der sie oft selbst vertreten sind. Das schafft eine intime Art der Kommunikation, die Populisten ausnützen. Populisten filmen sich meist selbst, und oft nicht perfekt. Doch so kommen sie einer jungen Zielgruppe noch einmal näher, wirken authentisch dabei. Schwarz-Weiß-Denken und zugespitzte Aussagen wirken auf TikTok besonders stark, werden mehr geteilt. Hier spielt der Algorithmus eine große Rolle, der die Beiträge im persönlichen Feed sortiert: Der merkt sich, wie man mit Videos interagiert und wie lange und wie oft man sie ansieht. Entsprechend mehr solcher Inhalte spielt der Algorithmus aus, Nutzerinnen und Nutzer landen relativ schnell in einer Themen-Bubble. Das funktioniert besonders gut bei emotionalen Themen, die zum Beispiel Angst und Wut erzeugen.“   

DER TIPP
Stopp den Algorithmus!
In den Einstellungen lässt sich bei den Inhaltspräferenzen unter dem Punkt „Aktualisiere deinen Feed für dich“ der Algorithmus auf null setzen und neu starten.

Ist online eigentlich alles erlaubt?

Susanne Wohmann, klicksafe.de

„Jede*r in Deutschland hat das Recht, die eigene Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. So steht es in Artikel 5 des Grundgesetzes. Das Recht auf Meinungsfreiheit schützt auch solche Ansichten, die anderen missfallen können. Aber: Hassrede ist strafbar, wenn Grenzen überschritten und die Rechte anderer verletzt werden – offline wie online. So sind zum Beispiel die Herabwürdigung von Personen, Rufmord, Einschüchterung, Gewaltverherrlichung, die Leugnung des Holocaust, die Verwendung des Hakenkreuzes oder von Sprüchen wie „Sieg Heil“ relevant. Verboten sind: Beleidigung, Verleumdung, Bedrohung, Gewaltdarstellung, die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen sowie die öffentliche Aufforderung zu Straftaten. Sie können zur Anzeige gebracht werden, der Polizei und Justiz nachgehen müssen.“

MEHR INFOS
unter klicksafe.de/hasskommentare-dokumentieren

Hört uns mal zu!
Mahla, 19 Jahre: Wann hast du zuletzt etwas im Netz gesehen, was du lieber nicht gesehen hättest?

„Das letzte Mal war gerade vor zwei Tagen auf Instagram: ein Kriegsbild aus dem Nahostkonflikt von einem Säugling, der gerade verstorben war. Seine Mutter hat ihn umarmt und geweint. Das Bild war total verstörend, berührend und … das sticht einem so unvorbereitet ins Herz. Ich habe aber noch nie direkt etwas Schockierendes geschickt bekommen. Meine Freundinnen, die Social Media aktiver nutzen als ich, aber schon: intime Fotos von älteren Männern. Und eine Freundin wurde auf einer App angeschrieben, die nicht zum Daten war, eine Sprachlern-App: „Wollen wir nicht was anderes machen?“ Die App wollte ich damals eigentlich nutzen, habe sie dann gelöscht. Auf einer anderen Sprachlern-App bekam ich einen Partner zugeordnet, der sich als Koreaner ausgegeben hat, aber gar kein Koreanisch konnte … Da bin ich dann schnell ausgestiegen! Sprachlern-Apps nutze ich aber sehr gerne und viel. Ich habe damit Spanisch und Koreanisch gelernt.

Ansonsten sind meine wichtigsten Apps Safari, ChatGPT und natürlich WhatsApp. Instagram nutze ich auch, aber mich stören da Dinge: Ich würde mir wünschen, dass die Registrierung erschwert wird und sich nicht jedes Kind oder jeder Troll anmelden kann. Dann gäbe es weniger Fake News und Hetze. Dass es vor der Wahl so viel KI-generierte Fakes gab, war beängstigend. Ich wünsche mir mehr FaktenChecks und nicht weniger.“

Was können Jugendliche Fake News und Hatespeech entgegensetzen?

Julia Bauer von ichbinhier.de

„Kommentarspalten in sozialen Netzwerken sind zentrale Orte für politische Debatten und gesellschaftlichen Austausch. Wer sich hier (pro-)aktiv engagiert, schützt nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern stärkt auch den demokratischen Diskurs im digitalen Raum. Jede*r Einzelne kann dazu beitragen, Fake News und Hatespeech wirksam entgegenzutreten. So kannst du den öffentlichen Raum positiv mitgestalten.

#ICHBINHIER
Der Verein bietet Workshops für Schüler*innen an: www.ichbinhier.eu